Farben, Freiheit und Feingefühl – Ein Gespräch mit Osa Wahn
Im Herzen von Wien, in der Burggasse 63, liegt das Studio Shockin' City Tattoo by Waldi & Osa Wahn – ein Ort, an dem Kreativität, Erfahrung und Individualität aufeinandertreffen. Tätowiererin Osa Wahn ist hier nicht nur durch ihr Talent, sondern auch durch ihren ganz eigenen Zugang zur Körperkunst bekannt. In diesem Interview erzählt sie von ihrem Weg in die Szene, ihrer besonderen Arbeitsweise und warum Vertrauen für sie die wichtigste Voraussetzung beim Tätowieren ist.
Wie bist du zum Tätowieren gekommen?
Mit zwölf habe ich zum ersten Mal meinen Vater tätowiert. Auf meinem Instagram-Account gibt es sogar noch alte Videos, auf denen ich etwa 15 Jahre alt bin. Ich bin durch meinen Vater, Waldi Wahn, zum Tätowieren gekommen. Mit 13 war ich bereits auf meiner ersten Tattoo Convention in Berlin – und habe dort sogar aktiv mitgemacht. Ich wurde offiziell eingeladen, weil ein befreundeter Tätowierer ein gutes Wort für mich eingelegt hat.
Damals ist mir schon aufgefallen, dass auf der Convention viel abgepaust wurde. Ich selbst habe das bis auf wenige Ausnahmen nie gemacht. Ich erinnere mich noch gut an einen Besucher, der sich ein Nilpferd tätowieren lassen wollte. Niemand hatte eine Vorlage dafür – ist ja auch kein Standardmotiv wie ein Tribal oder Totenkopf. Also habe ich ihm aus dem Gedächtnis direkt ein Nilpferd auf die Haut gezeichnet – und er war total glücklich damit.
Was ist das Besondere an deiner Kunst?
Farben sind mein Markenzeichen. Ich liebe es, bunt zu arbeiten und die gesamte Farbpalette auszunutzen. Natürlich kann ich auch in Schwarz-Weiß tätowieren, aber da erreicht man einfach nicht die gleiche Tiefe. Mit Farben ist viel mehr möglich – da entsteht eine ganz andere Wirkung.




Gibt es bestimmte Stile, auf die du dich spezialisiert hast?
Mein Stil hat einen hohen Wiedererkennungswert. Man erkennt gleich, wenn ein Tattoo von mir ist – das fällt einem sofort ins Auge. Ich könnte gar nicht genau beschreiben, wie mein Stil heißt. Wenn man sich in der Szene ein wenig auskennt, erkennt man sofort, ob ein Tattoo von mir stammt – oder von meinem Vater. Unsere Arbeiten ähneln sich, weil wir jahrelang zusammengearbeitet haben und uns gegenseitig beeinflusst haben. Es gibt Gemeinsamkeiten, aber auch klare Unterschiede.
Würdest du auch ein realistisches Schwarz-Weiß-Tattoo stechen?
Es ist nicht unbedingt mein Ding, aber ich kann es machen. Es gibt viele Tätowierer, die diesen Stil umsetzen – aber oft fehlt dabei die persönliche Note. Es sei denn, es ist ein ganz spezielles Motiv mit emotionalem Wert. Ich mache keine Motive, die man einfach im Internet findet und kopieren kann. Meine Tattoos sind immer einzigartig und individuell.

Stimmt es, dass du deine Motive direkt auf die Haut zeichnest?
Ja, und das hat mehrere Gründe. Erstens ist die Haut nicht flach. Wer größere Motive entwirft, kennt das Problem beim Abpausen. Für mich ist es einfacher, direkt auf der Haut zu gestalten. Zweitens kommt die Bewegung des Körpers dazu – ein Motiv auf Papier bewegt sich nicht. Aber auf dem Körper spielt die Muskelstruktur mit. Ich passe meine Zeichnung direkt an den Körper an. Ich habe auch schon Tattoos entworfen, bei denen ich Venen, Muttermale oder Narben in das Motiv integriert habe. Jede Körperstelle sieht bei jedem Menschen anders aus – das kann ich nur durch direktes Zeichnen berücksichtigen.
Diese Herangehensweise unterscheidet mich wirklich von anderen. Jedes Tattoo ist ein absolutes Unikat. Manchmal bekomme ich nur ein abstraktes Stichwort – wie „Pinguin in der Wüste“ oder „Mondscheinsonate“. Letzteres war ein tatsächlicher Auftrag: Ein Kunde aus Amerika wollte sich den Rücken mit Noten der Mondscheinsonate tätowieren lassen – jede Zeile von einem anderen Künstler. Ich fand die Idee nicht besonders sinnvoll und schwer umsetzbar, also habe ich ihm vorgeschlagen, ein einzigartiges Motiv zu entwerfen, das er so noch nie gesehen hat. Wichtig ist für mich: Meine Kunden müssen mir vertrauen. Sie dürfen gerne mit einer Idee kommen – oder auch ohne Vorgaben. Ich entwickle dann das Motiv zum Thema.
Ich mache auch viele Cover-Ups. Teilweise überdecke ich fast komplett schwarze Flächen oder schwierige Narben. Das sind komplexe Projekte, auf die ich mich spezialisiert habe – und die ich sehr liebe. Voraussetzung ist allerdings, dass die Narbe vollständig verheilt ist. Ich konnte dadurch vielen Menschen helfen, weil nicht jede Narbe eine schöne Erinnerung darstellt.


Was ist deine Vision für die nächsten Jahre?
In letzter Zeit habe ich mich stark auf meine Familie konzentriert und engagiere mich auch in der Schule meines Kindes, wo ich derzeit einen Schachclub leite. In den kommenden Jahren möchte ich mich wieder stärker auf meine künstlerische Arbeit fokussieren – vor allem auf größere Tattoo-Projekte und die kreative Weiterentwicklung meines Studios.
Wie funktioniert das mit Terminen bei dir?
Ich arbeite fast ausschließlich an Großprojekten. Meinen Stil kann man nicht in einer Sitzung auf einen halben Rücken bringen – daher wird das auf mehrere Sitzungen aufgeteilt.
Was war die ungewöhnlichste Stelle, die du je tätowiert hast?
Ich habe eigentlich schon alles tätowiert – auch im Mundbereich, im Genitalbereich, im Analbereich. Ein Beispiel für ein großes Tattoo war ein Motiv, das vom Oberkörper bis in den Genital- und Analbereich ging. Lustigerweise fand der Kunde die Rippenpartie schmerzhafter als den Intimbereich.

Gibt es noch etwas, das du uns sagen möchtest?
Ich habe es tatsächlich geschafft, mehrere Bereiche unter einen Hut zu bringen. Zum einen führe ich mein eigenes Tattoo- und Piercing-Studio. Dann gibt es die Tattoo-Schule mit einer Top-Ausbildung, in der ich mich immer an neuen Entwicklungen orientiere. Die Ausbildung wächst stetig und verhilft vielen Leuten zur Eröffnung von ihren eigenen Tattoo Studios.
Veronika von WildroseTattoo, eine meiner Schülerinnen, hat ihr erstes Tattoo bei mir gestochen. Sie hat ihre Prüfung beim ersten Anlauf mit einem tollen Ergebnis geschafft – ich bin sehr stolz auf meine Schüler!
Und als dritten Teil meines Konzepts gibt es den „Tattoozeug"-Shop. Ursprünglich war der für meine Schüler gedacht. Er ist klein, und das soll auch so bleiben. Die Produkte sind für entspannte Leute oder für meine Auszubildenden – und für mich ist es praktisch, weil ich einfach ins Lager greifen kann.
Die letzten Jahre waren hart für die Tattoo-Branche, aber zum Glück hat sich vieles erholt. Meine Botschaft an die Szene ist: weniger Konkurrenzdenken, mehr Zusammenarbeit – nur so kann man sich weiterentwickeln.